Packull, Werner O.

geb. am 14. Juli 1941 in Arklitten, Ostpreußen, gest. am 27. April 2018 in Waterloo, Ontario, Kanada; Professor Emeritus für Geschichte, Conrad Grebel College, Waterloo University.

Die Familie Packulls stammt aus Ostpreußen und war dort auf Gütern deutscher Adliger in der Landwirtschaft tätig. Werner Packulls Vater war in den frühen Januartagen 1943 an der Front in Russland verschollen. Die Mutter floh mit drei Kindern vor der russischen Armee in den ersten Monaten 1945 mit dem Schiff über Königsberg nach Dänemark und verbrachte dort vier Jahre in einem Flüchtlingslager.

1949 wurde die Familie in Reinfelden (Baden) bei Basel angesiedelt; hier schloss Werner Packull die Volksschule ab und begann 1954 die berufliche Ausbildung als Mühlenbauer und Schlosser.

1957 wanderte die Familie nach Guelph (Ontario) in Kanada aus. Werner Packull erlernte die englische Sprache und genoss in den nächsten sechs Jahren eine fundamentalistische religiöse Erziehung am Prairie Bible Institute in Alberta. Bevor er Guelph verlassen hatte, begegnete er Karin Fiebig, die aus Westpreußen stammte. Beide heirateten im August 1964.

Die Familie kehrte nach Guelph zurück, und Werner Packull sorgte für sie als Fabrikarbeiter, während er sich zugleich als Student an der Guelph University einschrieb. Dort erwarb er den Bachelor of Arts (1969), ebenso einen Bachelor of Theology am Emmanuel Bible College. Im folgenden Jahr wurde ihm der Grad eines Masters in History von der Waterloo University in Waterloo, Ontario, verliehen. Sein Betreuer in Waterloo war Kenneth Davis, der ihn in das weite Forschungsgebiet des Täufertums einführte. Der religiöse Hintergrund der Familie war in Deutschland ein pietistisch geprägtes Luthertum, und Davis war evangelikaler Baptist. Im Wintersemester schrieb sich Packull für das Doktorandenprogramm in Geschichte an der Queen´s University in Kingston (Ontario) ein, wo James M. Stayer sein erstes Graduiertenseminar zur Geschichte der Reformation anbot. Stayer wandte sich den Kirchen und abweichenden Gruppen der Reformation aus einer überkonfessionellen Sicht zu. Seine Studenten waren neben Werner Packull niederländische Einwanderer, Kanadier und Amerikaner.

1974 erwarb Packull den Grad eines Doktors der Philosophie (PhD) an der Queens´s University mit einer Dissertation über den Einfluss der mittelalterlichen Mystik auf die „süddeutsche-österreichische täuferische Bewegung“. Diese Dissertation widerspiegelte den Einfluss der Interpretation Thomas →Müntzers, die Hans-Jürgen Goertz 1967 vorgelegt hatte, und auch Stayers Ansichten zur Heterogenität des frühen Täufertums, die der homogenen Auffassung Harold S. →Benders vom „evangelischen Täufertum“ widersprachen (→Täuferforschung). Packull fügte sich auf bemerkenswerte Weise in die revisionistische Täuferforschung ein, wie sie das 450jährige Jubiläum markierte, besonders mit seiner Mitarbeit an der Publikation der Polygenesis-These von James Stayer und Klaus →Deppermann, wonach das schweizerische, deutsch-mährische und norddeutsch-niederländische Täufertum mehr oder weniger eigene Entstehungsherde aufwiesen (→Täufer). Der Aufsatz From Monogenesis to Polygenesis erschien 1975 in Mennonite Quarterly Review, und Packulls Dissertation wurde in den Studies in Anabaptistes and Mennonite History veröffentlicht.

Packull lehrte an kirchlichen Colleges, die mit der University of Waterloo verbunden waren: zunächst am Renision College von 1972 bis 1983 und dann am Conrad Grebel College von 1983 bis 2002. Während dieser Zeit kam ihm immer mehr zu Bewusstsein, dass die ursprüngliche Polygenesis-These den historischen Befund zu stark vereinfachte. So spielte er eine wichtige Rolle in dem Forschungsprozess, der dieses Bild korrigierte. Einerseits gab es viele Strömungen im oberdeutsch-mährischen Täufertum, die einander kreuzten. Andererseits konnten sich Anführer der Täufer widersprechen, ohne das Gespür für ihre Zusammengehörigkeit verloren zu haben. Das war die Situation, bevor schismatische „Denominationen“ der Täufer begonnen hatten, sich gegenseitig in Mähren 1528 zu denunzieren. Packulls Untersuchung der komplexen Anfänge des mährischen Täufertums trug viel zu diesem reiferen Bild vom frühen Täufertums bei. Er untersuchte die hutterischen Anfänge (→Hutterische Bruderhöfe), zugleich aber vermied er, die Fehldeutungen der früheren Huttererforschung, d. h. einen ausschließlich hutterisch zentrierten Standpunkt einzunehmen und die Existenz verschiedener miteinander wetteifernder täuferischer Gütergemeinschaften zu übersehen. Packull ging dieser Forschungsrichtung voran, die gebührende Aufmerksamkeit auf die nicht-hutterischen „Denominationen“ der Täufer lenkte: auf die Austerlitzer Brüder, die Philipper und Gabrieliten in →Mähren. Er leistete auch bedeutsame Beiträge zur Erforschung des norddeutschen und niederländischen Täufertums wie des apokalyptischen Propheten Melchior →Hoffman oder der Anneken Jans, die sich David →Joris angeschlossen hatte.

Bibliografie (Auswahl)

Veröffentlichungen Werner O. Packulls

Denck's Alleged Baptism by Hubmaier. Its Significance for the Origin of South-German-Austrian Anabaptism, in: The Mennonite Quarterly Review 67 1973, 327–338. - James M. Stayer, Werner O. Packull, Klaus Deppermann, From Monogenesis to Polygenesis: The Historical Discussion of Anabaptist Origins, in: The Mennonite Quarterly Review 49, 1975, 83–121. - Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement, 1525–1531, Scottdale, PA, 1977. - Melchior Hoffman – a Recanted Anabaptist in Schwäbisch Hall?, in: The Mennonite Quarterly Review 57 1983, 83–111. - Melchior Hoffman's Experience in the Livonian Reformation: The Dynamics of Sect Formation, in: The Mennonite Quarterly Review 59 1985, 130–146. - Anna Jansz of Rotterdam. A Historical Evaluation of an Early Anabaptist Heroine, in: Archiv für Reformationsgeschichte 78 1987, 147–173. - Hutterite Beginnings. Communitarian Experiments during the Reformation, Baltimore, 1995 (dt. 2000). - Preliminary Report on Pilgram Marpeck's Sponsorship of Anabaptist Flugschriften, in: The Mennonite Quarterly Review 75 2001, 75–88. - Peter Riedemann. Shaper of the Hutterite Tradition, Kitchener, ON, 2007.

Literatur

Commoners and Community. Essays in Honour of Werner O. Packull, hg. v. C. Arnold Snyder, Kitchener, ON, und Scottdale, PA, 2002. - James M. Stayer, Die „Schweizer Brüder“ – Auf der Suche nach einer neuen Definition. Selbstkritik und Dialog in der Täuferforschung, in: Mennonitische Geschichtsblätter 73 2016, 7–18. - James M. Stayer, In Memoriam: Werner O. Packull (1941–2018), in: The Mennonite Quarterly Review 92, 2018. - Astrid von Schlachta, Nachruf auf Werner Packull, in: Mennonitische Geschichtsblätter 75, 2018, 267–271..

James M. Stayer

 
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