Zijlstra, Samme

geb. am 23. Juli 1953 in Haulerwijk (Friesland), gest. am 10. November 2001 in Leeuwarden, Niederlande, nach einem Unfall; Historiker.

Samme Zijlstra durchlief das humanistische Gymnasium in Drachten und studierte zunächst eine Zeit lang Jura, danach Geschichte an der Universität Groningen (später auch Theologie in Utrecht). Dort hörte er die inspirierenden Vorlesungen E. H.Waterbolks und A. F. →Mellinks, die beide Kirchen- und Sozialgeschichte miteinander verbanden. Es war vor allem Professor Mellink, ein namhafter Kenner der Täufergeschichte, der als Triebfeder der Reihe Documenta Anabaptistica Neerlandica wichtige Beiträge lieferte und zu seinem Lehrmeister wurde. Zijlstra wurde 1983 von Mellink mit seiner Dissertation Nicolaas Meyndertsz. van Blesdijk: een bijdraege tot de geschiedenis van het Davidjorisme promoviert. Diese Studie eines zunächst weniger bekannten Anhängers des David →Joris basierte auf umfangreichen Archivarbeiten in Basel und warf ein vollkommen neues Licht auf die Anfangszeit der täuferischen Bewegung in den Niederlanden. Dieses Ergebnis machte Samme Zijlstra auf einen Schlag zu einem international anerkannten Experten der Radikalen Reformation. Aus Zijlstras Forschungen ging u. a. hervor, dass →Blesdijk, der als Schwiegersohn sehr eng mit David Joris, dem selbsternannten „dritten Messias“, verbunden war, geraume Zeit dessen Herold oder Sprachrohr und Zwischenträger in den nördlichen Niederlanden und Ostfriesland war. Blesdijk kannte sich in der humanistischen Tradition aus und hatte deshalb einen einfachen Zugang zu den Gelehrtendisputationen seiner Zeit, auch machte ihn das zu einem respektablen Gesprächspartner. Weiterhin verdeutlichten die Forschungen Zijlstras, dass der Spiritualist David Joris in den Anfangsjahren des Täufertums einige Zeit (1537 bis 1544) als wichtigster Anführer der neuen Bewegung galt, dieses unter anderem aufgrund seiner mystisch geprägten Spiritualität, die mit Begeisterung in täuferischen Kreisen aufgenommen wurde, und seines Plädoyers für religiöse Toleranz. Die Zustimmung, die er fand, hing auch damit zusammen, dass David Joris eine mittlere Position zwischen dem Radikalismus und Gewaltsamkeit der Täufer zu →Münster einerseits und den pazifistischen Anhängern von Menno →Simons andererseits einnahm. Blesdijk sollte in späteren Jahren zu dem charismatischen David Joris auf Abstand gehen, sich den Calvinisten anschließen (und noch später den Lutheranern) und gegen David Joris polemisieren.

Nach seinen Studien über Blesdijk fand Zijlstra mehr oder weniger eine Heimstatt an der Fryske Akademy in Leeuwarden, wo er sich vielen Studien widmete und Studien zu einer Vielzahl von Themen veröffentlichte. Er schrieb unter anderem eine Geschichte der friesischen Region Oostdongeradeel: Skiednis fan Eastdongeradiel (1992) und Abhandlungen über friesische Gelehrte: Het geleerde Friesland – een mythe? (1996). Zudem war er ein produktiver Autor von Artikeln über die taufgesinnte Geschichte (u. a. über David Joris und seine Nachfolger) in namhaften nationalen wie auch internationalen Zeitschriften. Er edierte viele Textausgaben, sowohl im Rahmen der Reihe Documenta Anabaptistica Neerlandica als auch der Doopsgezinde Bijdragen. Dieser Zeitschrift gehörte er viele Jahre als Redaktionsmitglied an und war geraume Zeit ihr Chefredakteur. Schließlich nahm er eine Weile an dem Projekt „Elitevorming onder doopsgezinden in de Republiek“ (Elitebildung unter Taufgesinnten in der Zeit der Republik) teil.

2000 veröffentlichte Samme Zijlstra sein bekanntestes Werk: Om de ware gemeente en oude gronden; geschiedenis van de dopersen in de Nederlanden 1531–1675. Diese Studie ist bis zum heutigen Tage die wichtigste Gesamtdarstellung über die frühen Jahre des niederländischen Täufertums. Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene wurde sie mit großem Lob aufgenommen und als das Standardwerk für heutige und zukünftige Studenten und Forscher angesehen. Zijlstras Darstellung fügt sich im Hinblick auf Ausführlichkeit, Gründlichkeit und Vision voll und ganz in die Reihe seiner Vorgänger wie Blaupot ten Cate, Hoop Scheffer De Hoop, Kühler und Van der →Zijpp ein. Indem er andere Ausgangspunkte wählte und zahlreiche neuere Erkenntnisse aus jüngeren Forschungen aufnahm, warf diese Darstellung ein neues Licht auf die ersten 150 Jahre des Täufertums in den Niederlanden. So wurde die täuferische Identität von Zijlstra als wichtigstes Kennzeichen und verbindendes Prinzip der weit auseinanderstrebenden täuferischen Bewegung herausgearbeitet. Die Identität wurde seiner Ansicht nach vor allem in der Wiedergeburt und geistigen Erneuerung des Menschen verkörpert, wie sie ihren Ausdruck in der Erwachsenentaufe fand. Sie führte zu zahlreichen anderen Merkmalen, der Heiligung des Lebens, Gemeindezucht, Biblizismus und dergleichen, doch vor allem zu dem Bestreben, in stets wechselnden Umständen die eigene Identität zu wahren und ihr erneut Form zu geben. Dieser Ausgangspunkt – Identität – ist ein gänzlich religiöser, sowohl im anthropologischen als auch im kirchengeschichtlichen Sinn, so dass die täuferische Bewegung aus sich selbst heraus verstanden werden könne. Hier und da hat Zijlstra das traditionelle Bild vom Täufertum korrigiert, z. B. wird jetzt auf den relativ geringen Umfang der täuferischen Bewegung in den Niederlanden hingewiesen (nie mehr als 3 % der Bevölkerung, frühere Schätzungen gingen von viel höheren Prozentsätzen aus) und auf die Tatsache, dass der „progressive Zweig“ der Täufer, anders als lange Zeit behauptet, nicht den größeren, sondern eher den geringeren Teil der Täuferbewegung ausmachte.

Zijlstra war als Person eher verschlossen, kurz und bündig in seinem Vortrag und in der Präsentation zurückhaltend. Er war alles andere als ein versierter Netzwerker, auch wenn er in der Welt der Wissenschaft im Inland wie im Ausland zahlreiche Kontakte pflegte. Es ist zu bedauern, dass Samme Zijlstra, der begabte und produktive Wissenschaftler, in so relativ jungem Alter gestorben ist.

Veröffentlichungen

Nicolaas Meyndertsz. van Blesdijk: een bijdrage tot de geschiedenis van het Davidjorisme, Assen 1983. - Het geleerde Friesland – een mythe?: universiteit en maatschappij in Friesland en Stad en Lande ca. 1380–1650. Ljouwert 1996. - Om de ware gemeente en de oude gronden: geschiedenis van de dopersen in de Nederlanden 1531 – 1675, Hilversum und Leeuwarden, 2000.

Literatur

Wiebe Bergsma, By it ferstjerren fan dr. Samme Zijlstra (1953–2001), in: Ṹt de Smidte fan de Fryske Akademy 35/4, 2001). - Piet Visser, In memoriam Samme Zijlstra (1953–2001), in: Doopsgezinde Bijdragen 27, 2001, 9–13. - Gary K. Waite, Samme Zijlstra (1953–2001), in: Mennonitische Geschichtsblätter 2001, 192 f. - Verschiedene Beiträge im Doopsgezind Documentatie Centrum, in der Doopsgezinde Bibliotheek, Universiteitsbibliotheek Amsterdam.

Jelle Bosma

 
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